Sichere Kommunikationsprotokolle

Private Gespräche wirklich privat halten — selbst wenn jemand zusieht

Warum Betroffene sichere Kommunikation brauchen

Bei häuslicher Gewalt können alltägliche Gespräche gefährlich werden. Ein kontrollierender Partner könnte Nachrichten lesen, Anrufe abhören oder sogar Spionage-Apps installieren — oft unbemerkt. In solchen Fällen ist wie man kommuniziert genauso wichtig wie was man sagt.

Sichere Protokolle sind das digitale Äquivalent zu geschlossenen Vorhängen und abgeschlossenen Türen. Nicht perfekt, aber sie erschweres es Tätern — oder anderen — massiv, Gespräche auszuspionieren, zu manipulieren oder Identitäten vorzutäuschen.

Was “sicheres Protokoll” wirklich bedeutet

Entjargonisiert: Ein Protokoll ist nur eine Regelmenge, wie Computer Nachrichten austauschen. Ein sicheres Protokoll fügt zusätzliche Schritte hinzu, um diese Nachrichten privat, geschützt und vertrauenswürdig zu halten.

Gute Protokolle:

  • Verschlüsseln Nachrichten (nur Senderin und Empfängerin können sie lesen)
  • Stellen sicher, dass niemand heimlich den Inhalt ändern kann
  • Minimieren Metadaten (wer mit wem, wann und wo kommuniziert hat)
  • Bestätigen, dass man mit der richtigen Person spricht — keine Impostorin

Man muss die Mathematik nicht verstehen. Nur wissen, welche Tools sie nutzen und wie man Warnsignale erkennt.

Tools, die Gespräche schützen (und wofür sie gut sind)

Diese Apps nutzen sichere Protokolle — einige besser als andere — und sind in der Arbeit mit Betroffenen verbreitet.

1. Signal

  • Ideal für: Private Nachrichten/Anrufe mit Vertrauenspersonen
  • Vorteile: Ende-zu-Ende-Verschlüsselung (niemand sonst kann mitlesen), speichert keine Kontakte, kann Nachrichten verstecken und automatisch löschen.
  • Grenzen: Benötigt Handynummer zur Registrierung. Wenn der Täter Kontakte einsehen kann, sieht er, mit wem Sie kommunizieren.

2. Briar

  • Ideal für: Chats ohne Internet oder Mobilfunk
  • Vorteile: Funktioniert per Bluetooth/WLAN zwischen nahen Geräten. Keine Server, keine Telefonnummer, keine Cloud-Spuren.
  • Grenzen: Nur nutzbar, wenn beide Personen die App haben und nah beieinander sind. Nicht für Fernkommunikation.

3. Session

  • Ideal für: Anonyme Chats ohne Identitätspreisgabe
  • Vorteile: Keine Telefonnummer/E-Mail nötig. Nutzt Tor-ähnliches System für Anonymität.
  • Grenzen: Langsamer als andere Apps. Noch relativ neu.

4. ProtonMail (und ProtonDrive)

  • Ideal für: Sensible E-Mails/Dateien
  • Vorteile: Verschlüsselter E-Mail-Dienst aus der Schweiz. Automatische Verschlüsselung zwischen ProtonMail-Nutzer*innen. ProtonDrive ermöglicht verschlüsselte Dateifreigabe.
  • Grenzen: Wenn Empfänger*in kein ProtonMail nutzt, muss Nachricht manuell per Passwort geschützt werden.

5. WhatsApp

  • Ideal für: Allgemeine Chats, wenn Signal keine Option ist
  • Vorteile: Nutzt ebenfalls Signal-Protokoll zur Verschlüsselung. Einfach und bekannt.
  • Grenzen: Gehört Meta (Facebook), das protokollieren kann, mit wem Sie chatten. Nicht optimal für Hochrisikosituationen.

Praxisbeispiele bei häuslicher Gewalt

  • Eine Betroffene kontaktiert eine Beraterin, ohne Spuren auf ihrem Handy zu hinterlassen: Sie nutzt Signal mit Selbstzerstörungsnachrichten (1 Stunde) und deaktiviert Vorschauen auf dem Sperrbildschirm.
  • Eine Unterkunft hilft einer Neuankömmling, Freund*innen ohne Mobilfunk zu kontaktieren: Sie verbinden Geräte via Briar und zeigen, wie man die App später löscht.
  • Ein Täter hat den WhatsApp-Account einer Betroffenen geklont (QR-Code-Scan): Berater*innen wechseln zu Session und zeigen, wie man App mit PIN sichert.
  • Eine Betroffene mailt Anwält*in juristische Dokumente: Beide nutzen ProtonMail, oder sie schützt Anhänge mit Passwort (geteilt via Signal).
  • Eine besorgte Freundin im Ausland will helfen, ohne den Täter zu alarmieren: Sie installieren Signal und vereinbaren ein Codewort für Gefahr.

Was sichere Protokolle nicht leisten können

Selbst die fortschrittlichsten Protokolle helfen nicht, wenn:

  • Der Täter physischen Gerätezugriff hat (liest Nachrichten in Echtzeit)
  • Spyware installiert ist (sieht alles, egal welche App)
  • Die Betroffene gezwungen wird, ihr Handy zu entsperren
  • Nachrichten gespeichert, gescreenshottet oder versehentlich weitergeleitet werden

Kurz: Das Protokoll schützt die Nachricht, nicht das Gerät. Daher ist sichere Kommunikation immer Teil eines umfassenderen digitalen Sicherheitsplans.

Schnelltipps für Betroffene und Helfer*innen

  • Nutze Tools mit Selbstzerstörungsnachrichten und ohne Vorschauen
  • Gehe davon aus, dass das aktuelle Gerät kompromittiert sein könnte — wechsle wenn möglich
  • Aktiviere PIN/Biometrie-Sperren für Messenger-Apps
  • Zeige, wie man Apps sicher löscht und Chats bereinigt
  • Vereinbare Codewörter für diskrete Gefahrensignale
  • Halte eine Backup-Kontaktmethode bereit

Sichere Protokolle sind kein Allheilmittel. Aber sie erschweren Überwachung, verschaffen wertvolle Zeit und schaffen Atempausen für Betroffene. Je normaler ihre Nutzung wird — unter Helferinnen, Freundinnen und Familien — desto mehr verschieben wir Machtverhältnisse.